Abitur und andere Noten

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Gutes Abitur = Studierfähigkeit?

Gedanken zum Mathe Abitur

Das bayerische Mathe-Abitur ist ja ziemlich umstritten. Nicht das erste Mal. Schüler starten sofort eine online-Petition, weil es zu schwer war. Nicht alle Schüler sind dieser Meinung, nicht alle Lehrer sind dieser Meinung.

Ein Leserbrief in der Süddeutschen stellte sogar die Studierfähigkeit der Schüler und Schülerinnen in Frage. Würde das Mathe-Abitur als zu schwer betrachtet sähe der Leser eine weitere Abwertung des bayerischen Abiturs. Schüler, die sich derart beschweren und eben eine schlechte Note hätten, wären einfach nicht studierfähig.

Ich selbst kann mir zur Schwierigkeit der Mathe-Prüfung keine Meinung bilden, ich nehme nur wahr, was herumschwirrt. Allerdings mache ich mir Gedanken zum Begriff „Studierfähigkeit“.

Neben einer wissenschaftlichen Abhandlung der Uni Hamburg habe ich folgende Definition gefunden:

„Studierfähigkeit, die Fähigkeit, mit Erfolg ein Hochschulstudium zu absolvieren; beinhaltet neben allgemeinen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten zum Teil auch Vorkenntnisse auf dem angestrebten Studiengebiet sowie Einsicht in die übrigen Lebensbereiche.“


Quelle

Hoppla … „mit Erfolg“ … wenn man sich dazu die Studienabbrecherquote ansieht, dann haben wohl wenige eine Studierfähigkeit. Was kann man unter „allgemeinen kognitiven und sprachlichen Fähigkeiten“ verstehen? Und wieviel „Vorkenntnisse“ können erwartet werden? Woher bekomme ich diese? Und „Einsicht in die übrigen Lebensbereiche“. Welche denn? Wie tief ist diese Einsicht?

Woher kommt diese Definition und wer stellte sie auf?

Ich selbst habe kein Abitur! Also auch keine Zugangsberechtigung zu einer Hochschule. Auch wenn diese heute auch tatsächlich ohne Abitur möglich ist, habe ich dennoch keine „Meisterausbildung“ – die gibt es in meinem Berufszweig nicht. Ich müsste also mit einer externen Abi-Prüfung beweisen, dass ich über eine Studierfähigkeit verfüge. – Da für mich ein Studium nicht erstrebenswert ist, lass ich das.

Ich stelle mir lieber die Frage, was hinter diesen sehr vagen Anforderungen steht und wer das mit welcher Berechtigung fordert. Steckt da die Angst dahinter, dass dann ja „Hinz & Kunz“ studieren können und somit die „Elite = Abiturienten“ aufweichen könnte? Oder ist es die Sicherheit, dass die „Studierfähigen“ bewiesen haben, dass sie Wissen zum erforderlichen Zeitpunkt passend wiedergeben können, sich in ein Machtsystem einpassen und somit weiterhin für das Erreichen von Titeln (= Belohnungen oder Lebenspoints) unkritisch führen lassen und Vorgegebenes unkritisch konsumieren?

Was ist eigentlich wichtig?

Nach meiner Beobachtung gibt es gehäuft Schwierigkeiten, seit das Mathe-Abitur für alle verpflichtend eingeführt wurde. Ich habe nichts gegen kognitive und sprachliche Fähigkeiten, auch gar nichts gegen Einsichten in Lebensbereiche. Das kommt mir in der derzeitigen Schule alles viel zu kurz. Wie entwickeln sich denn sprachliche und kognitive Fähigkeiten? Durch Auswendiglernen und Wiedergeben von Vorgekautem? Oder auch durch Forschen, Neigungen nachgehen, selbstbestimmten Lernwegen, Diskussionen, Hinterfragen, Durchdenken? Die Lebensbereich, die in der Schule Einsicht erlauben sind m.E. veraltet und sehr beschränkt. Sie sind reglementiert! Was ist mit Philosophie, Astronomie, alternative Medizin, alternative Energien, Spiritualität? Das kommt alles zu kurz, weil Wert auf Wissen gelegt wird, das abrufbar ist. – Dabei habe ich auch nichts gegen Grundwissen und einen Überblick über Zusammenhänge. Doch wie tief eingestiegen wird liegt doch an den jeweiligen Interessen!

„Eine Schule (lateinisch schola von altgriechisch σχολή [skʰoˈlɛː], Ursprungsbedeutung: „Müßiggang“, „Muße“, später „Studium“, „Vorlesung“), auch Bildungsanstalt oder Lehranstalt genannt, ist eine Institution, deren Bildungsauftrag im Lehren und Lernen, also in der Vermittlung von Wissen und Können durch Lehrer an Schüler, aber auch in der Wertevermittlung und in der Erziehung und Bildung zu mündigen, sich verantwortlich in die Gesellschaft einbringenden Persönlichkeiten, besteht.“ Quelle

„Müßiggang“ ist heute ja noch immer ein „Schimpfwort“, wer dem nachgeht gilt als faul. Allein die Achtsamkeits-Welle, die Burnout-Prophylaxe erlaubt und würdigt den Müßiggang. Aus der Hirnforschung weiß man auch, dass aus Langeweile neue Motivation entsteht. Die Entscheidung, sich mit etwas zu beschäftigen. Doch in der Schule von heute werden die Kinder durch ein vorgegebenes Pensum getrieben! Welcher erwachsene Mensch würde sich gefallen lassen, dass er alle 45 Minuten ein anderes Projekt bearbeiten soll. Pausen nur zu bestimmten Zeiten machen darf und weder mit Kollegen sprechen, noch aus dem Fenster schauen darf!

Wandel von guten Ansätzen

Die Bedeutung von „Schule“ hat sich ebenso in das Gegenteil gewandelt, wie die ursprüngliche Bedeutung von Noten! Im Mittelalter führten die Jesuiten die Noten ein. Der Gedanke war, damit nachzuweisen, dass auch Kinder, die nicht dem Adel angehörten, zu höherer Bildung Zugang bekamen. Also genau das Gegenteil der heute praktizierten Auslese!

Also wurde ihnen damit eine Art Studierfähigkeit bescheinigt!

Mir stellt sich heute trotzdem die Frage, ob dieses System, das wir weiterhin so vehement verteidigen noch zeitgemäß ist. Brauchen wir nicht schon heute ganz andere Fähigkeiten als noch vor 2 Generationen? Ein Lehrer fordert sogar die Abschaffung der Schule, weil sie kein nachhaltiges Wissen vermittle. Ein spannender Artikel darüber findet sich bei Focus-online.

Aus dem Artikel:

„Stellen Sie sich vor, sie würden gerne Bäcker werden wollen und darüber, ob sie erfolgreich die Gesellenprüfung ablegen, entscheidet mit, wie gut sie eine Mauer hochgezogen und eine Heizung eingebaut haben“, schreibt Oliver Hauschke in seinem neu erschienen Buch „Schafft die Schule ab“.

Ginge es auch anders?

Muss wirklich jede/r Schüler/in beweisen, welche Mathekenntnisse sie oder er hat? Wie viele „versauen“ sich damit ihren Schnitt!?

Was ist mit den vielen anderen Begabungen aus verschiedenen Lebensbereichen, die sie sich erworben haben? Was ist mit den Hobbies – die manche trotz Zeitmangel doch noch ausüben – in denen sie sich engagieren und Leistungen erbringen? Was ist mit dem ehrenamtlichen Engagement, in dem sie sich Fähigkeiten so ganz ohne Schule aneignen, die sie in ihrem Leben weit sinnvoller anwenden können als Integralrechnungen!

Brauchen wir wirklich studierfähige Menschen, die kognitive Höchstleistungen bringen, doch kaum lebensfähig sind? Klick um zu Tweeten

Ich bin keineswegs gegen Leistung! Kinder und Jugendliche, jeder Mensch möchte Leistungen erbringen, denn die bringen Glücksgefühle. Etwas geleistet, etwas erbracht zu haben setzt im Gehirn eine Ausschüttung von Hormonen in Gang, die uns zu weiteren Leistungen anspornen. Je öfter das passiert um so glücklicher ist der Mensch. Doch können solche Leistungen nicht erbracht werden, weil sie zu hoch hängen – und das muss nicht mal kognitiv gemeint sein, sondern weil sie dem Lernenden einfach nicht sinnvoll erscheinen – werden sie nicht erreicht und es gibt keine Glückshormone im Kopf! Da der Mensch aber danach aus ist, werden Ersatzdrogen konsumiert oder Gelegenheiten geschaffen, in denen man Leistungen erbringen kann (nicht selten sind das Computerspiele oder Extremsportarten).

Ich wünsche mir eine sachliche Auseinandersetzung mit unserem System, in der sich viele Beteiligte an einen Tisch begeben und ergebnisoffen diskutieren. In der jeder seine Vorstellungen einbringt und diese kein anderer abwehren muss, weil er denkt, seine Vorstellungen wären dann nicht mehr richtig, oder so viel wert.

Was könnte alles passieren, wenn wir unser gesammeltes Wissen, unsere gesammelten Vorstellungen zusammen bringen würden und so etwas ganz Neues schaffen?


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