12 Jahre Montessori-Schule und 1 Jahr Regelschule

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12 Jahre Montessori-Schule und 1 Jahr Regelschule

Hallo Paul, erst mal herzlichen Glückwunsch zu deinem sehr guten Abitur. Das ist ja inzwischen dein VIERTER Schulabschluss. 2019 machtest du deinen Quali. Damals habe ich dich auch schon interviewt. Ein Jahr später kam der mittlere Abschluss. Diese beiden Abschlüsse absolviertest du in deiner Zeit an unserer Montessori-Schule, deren Gründungsschüler du warst. Damals war es für dich nicht eindeutig, eine Ausbildung zu starten. Das Lernen fiel dir leicht und machte dir schon immer großen Spaß, daher entschiedest du dich für die MOS in Nürnberg. Hier machtest du dein Fachabitur 2022 mit sehr großem Erfolg. Schon länger war damals für dich klar, dass du auch noch die allgemeine Hochschulreife erreichen möchtest. Leider war dies nicht mehr an der MOS in Nürnberg möglich, da für diese Klasse ein einziger Schüler zu wenig war. Also musste eine Alternative her.

Welche Entscheidung hast du dann getroffen?

Es war schon Juni, als ich erfuhr, dass ich die Schule für das letzte Jahr noch einmal wechseln muss. Leider gab es keine Montessori-Alternative im Umkreis. Daher kam nur eine Regel-FOS in Frage. Schwabach oder Weißenburg. Schwabach ist eine relativ junge Schule, jedoch in einem uralten Schulhaus und nicht wirklich ansprechend. Also dann doch Weißenburg. Im Juli fiel dann endgültig die Entscheidung.

Wie war dein Start in der Regelschule? Das kanntest du ja bis dahin gar nicht.

Naja! Die erste Woche wartete ich mal ab, ob es noch besser wird als der erste Eindruck. Schockiert haben mich die 45-Minuten-Einheiten. In so kurzer Zeit kann man doch nicht vertieft lernen! 45 Minuten Mathe? Da brauch ich doch gar nicht anfangen zu denken! Von der MOS kannte ich lange Lerneinheiten z.B. für Politik und Gesellschaft oder Ethik. Da kann man wirklich in ein Thema eintauchen und das von vorne bis hinten bearbeiten. Und wirklich! Mathe! Ich liebe Mathe, da will ich länger dran arbeiten, damit ich wiederholen kann um es zu verinnerlichen. Aber gut. Es geht ja nur noch um ein Jahr.

Und wie war das mit deiner Seminararbeit? Du hattest ja den Wirtschaftszweig.

Da ich so spät an die Schule kam, war keine Auswahl mehr vorhanden und mir wurde ein Thema zugewiesen: Sportverletzungen!

Oh – Sport ist ja jetzt nicht unbedingt der Bereich, der dich wahnsinnig interessiert.

Letztendlich war das Thema dann „Sporttherapie bei Depressionen – wie wirksam ist Bouldern“.

Naja, das passte ja dann, du boulderst ab und an selber.

Ja, hat dann schon funktioniert. Die Präsentationen zu halten, die dazu gehörten, machten mir wirklich Spaß. Das Schreiben – naja…

Wie hast du den Unterschied der Unterrichtsarten von Montessori-Schule und Regelschule erlebt? Gab es überhaupt einen?

Ja, es gab einen großen Unterschied! Grundsätzlich war der Unterricht an der MOS viel kooperativer, es gab viel mehr Raum für eigene Gedanken und Diskussionen. Auch andere Blickwinkel wurden angehört und wertgeschätzt. In Mathe hatten wir meist Selbstlernphasen in Form von Unterrichtsmaterialien, Arbeitsaufträgen und Lernvideos. Für Fragen war die Lehrerin immer für uns da. Dieses eigenverantwortliche Lernen hatte ich ja zuvor schon 10 Jahre in Primar- und Sekundarstufe. So konnte jeder in seiner Geschwindigkeit arbeiten, egal wie lange jemand für ein bestimmtes Thema brauchte. Es gab keine langweiligen Phasen, wenn man selbst schon etwas verstanden hatten, jemand anders aber noch länger brauchte. In der FOS z.B. erlebte ich den Lehrer als herzensguten Menschen, aber der Unterricht war für mich sterbenslangweilig. Alles wurde in einem Tempo durchgezogen. Für mich war es meist zu langsam, für andere in der Klasse doch noch zu schnell. Und dann noch die begrenzte Zeit. Aufhören, wenn man grad so drin ist, ist halt einfach doof.

Und in den anderen Fächern?

In Deutsch z.B. habe ich die Unterrichtsarten auch verschieden erlebt. Der größte Unterschied war sicher der, dass in der MOS intensiver an den Stärken der einzelnen Schüler gearbeitet wurde. Vor allem in Hinblick auf die Prüfung konnte jeder sein bevorzugtes Thema vertiefen. Klar ist es gut, wenn man alles kann, aber es liegt halt nicht jedem dasselbe Gebiet. Mit meiner Deutschlehrerin war ich sowieso nicht „grün“. Gleich zu Beginn signalisierte sie mir, dass Montessori-Schüler ja nichts lernen. Das reichte mir dann schon mal! Ihre Einstellung „Schüler sind dumm, haben keine Lust zu lernen und wollen nicht kapieren.“ empfand nicht nur ich so. Den Schülern von Anfang an zu signalisieren, dass sie den Ansprüchen sowieso nicht genügen, ist zwar durchaus realistisch, hat aber nicht gerade motivierende Wirkung. Aufgrund von Erfahrung davon auszugehen, dass Schüler Textverständnis nicht lernen können und man es nicht erklären kann, ist Nonsens, da es doch allein schon der Versuch wert ist, denn es könnte die für Textverständnis zuständige Gehirnregion doch aufgeweckt werden.

Unter „oberstufengerechtem Unterricht“ verstand man in der FOS dann auch powerpointgstützte Vorträge des Lehrers zu jedem Thema. „In der Uni ist das später auch so.“ Es hätte mir wesentlich mehr Spaß gemacht, mir diese Themen selbst zu erarbeiten. Oder wie an der MOS, Präsentationen von Schülergruppen, die sich einzelne Themen vornahmen. Oder auch mehr Interaktion in der Klasse. Optimalerweise auch ohne den Zusatz nach einer Frage „Egal, was Sie jetzt sagen, ich werde anderer Meinung sein.“ Das motivierte jetzt wirklich nicht zur Beantwortung einer Frage.

Hast du in der FOS auch was Positives erlebt?

Ja, schon. In den Fächern, in denen die Lehrer cool waren. Englisch zum Beispiel: Diese Lehrerin motivierte immer zum Sprechen und schätzte auch noch so falsche Sätze und verbesserte uns immer wertschätzend. Die Bewertung der mündlichen Leistungen bezog sich nicht nur auf die Qualität der Beiträge, sondern den Gesamteindruck. Fehler waren willkommen. Lieber mal nicht ganz korrekt, dafür aber mitgemacht. Hier war die spürbare Haltung die, dass etwas gelernt werden soll und nicht schon alles richtig sein musste. Von der Verbesserung der Fehler der Einzelnen profitierte die ganze Klasse.

Auch unsere Religionslehrerin wollte, dass wir etwas lernen und auch gute Noten schreiben, da sie ja doch für den Schnitt irgendwie zählen. Sie suchte auch mal nach Punkten, wenn es auf der Kippe stand und ließ auch immer andere plausible Lösungen als nur die Musterlösung gelten. Sie wollte einfach, dass wir uns Gedanken machten.

In VWL nahm ich mir mit einem Schulkameraden die Freiheit, diverse Themen zu diskutieren. Zumindest wir zwei hatten großen Spaß. Ich hoffe, wir konnten den ein oder anderen Schüler auch inspirieren, sich mal über die Skripte hinaus Gedanken zu machen. Wir blieben immer beim Thema. Vielleicht veranlasste das den Lehrer auch, mich über die Montessori-Schule zu fragen. Das erlebte ich als Interesse an mir und einer anderen Lernform.

Und was ist dein Fazit?

Zunächst, dass Kommunikation einfach wichtig ist. In alle Richtungen. Zwischen Schülern, zwischen Lehrern und Schülern, aber auch mit der Schulleitung. An der FOS hatte ich nie das Gefühl, dass wir Schüler ernst genommen werden mit Kritik. In einem Abschlussgespräch mit der Schulleitung hörte ich das erste mal, dass seine Tür immer für Schüler offen stehe. An der MOS waren die Wege einfach kürzer, offene Türen werden dort gelebt. Es waren weniger Schüler, dadurch war es natürlich auch familiärer, eine echte Schulfamilie. Die Haltung von Lehrern zu Schülern ist in Montessori-Schulen einfach schon eine ganz andere. An der FOS störte mich allgemein die distanzierte und unpersönliche Atmosphäre. Das kannte ich bisher so nicht.

Diese Erfahrung nahm mir auch innerhalb kürzester Zeit die Freude an der Schule. Schade. Ich habe es noch durchgezogen, weil ich es ja wollte.

Die Abschlussfeiern spiegelten an jeder Schule die Wertschätzung der Schüler wider. An den Montessori-Schulen war es ein wirkliches Feiern der Abschlüsse. Die Lehrer feierten uns Schüler, dass wir uns den Herausforderungen stellten und unsere Leistungen zeigten. An der FOS wurden die Zeugnisse übergeben. Das war es dann auch. Selbst die Gespräche und das Glas Sekt nachher zeigte nicht diese Feierlichkeit.

Vier Schulabschlüsse können nicht allzu viele Schüler vorweisen. Damit hast du ja quasi deiner Deutschlehrerin „bewiesen“, dass Montessori-Schüler doch etwas lernen. Das könnte ja auch kritische und unsichere Erwachsene beruhigen, die sich unsicher sind, ob Montessori in unsere heutige Zeit passt.

Was würdest du Eltern raten, die sich für eine Montessori-Schule für ihr Kind interessieren?

Grundsätzlich ist es möglich. Ich habe meine Schulzeit frei von Druck erlebt und mein Lernen als erfolgreich. Ich kann das Gelernte nachhaltig verwenden. Noch heute habe ich die Abläufe der Materialien aus der Grundschule im Kopf. Das half mir, die Rechenwege wirklich zu verstehen.  Abstraktes wurde begreifbar, auch bei den Wortarten. Es ist so selbstverständlich und die Strukturen so logisch erkennbar. Kinder, die so lernen, bekommen die Zeit, die sie brauchen um es zu durchdringen und zu verstehen. Ich fühlte mich nie kontrolliert, aber immer unterstützt.

Danke Paul, dass du mir so ausführlich über deine Erfahrungen berichtet hast. Was machst du jetzt mit deinem Abitur?

Jetzt habe ich mich doch für eine Ausbildung zum KFZ-Mechatroniker entschieden. Ich kann verkürzen und werde eine Berufsschule besuchen, in der es eine Klasse für Abiturienten gibt. Und dann sehen wir weiter.

Dabei wünsche ich dir auch viel Spaß. Deine Diskussionsfreude wirst du dir sicher behalten!

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